Til Schweiger hat “Zeit-Online” ein Interview gegeben. Die Zeilen zeigen einen Menschen, der Federn gelassen und Abbitte geleistet hat. Doch Schweigers Aussagen triggern! Die VIP-Kolumne dieses Mal über einen, der weiß, dass er polarisiert und dem inzwischen vieles – zurecht – “am Arsch vorbeigeht”.
“Ich sag Ihnen mal was: Das geht mir voll am Arsch vorbei. Ich habe schon lange meinen Frieden damit gemacht, dass ich von diesen Boulevardmedien als Clickbait benutzt werde”, sagt Til Schweiger in einem aktuellen Interview mit “Zeit-Online” und damit, liebe Leser, willkommen zur VIP-Kolumne in dieser Woche! Frage: Darf man noch offen was Freundliches über Til Schweiger sagen oder wird man dafür von den selbsternannten Wächtern der Moral angezählt? Die Dittrich zerreißt den Schweiger nicht, wie einst der Spiegel. Auf die Barrikaden! Sie gehört geächtet! Buh!
Was die Moralpolizei betrifft, halte ich es inzwischen genau wie Schweiger. Leute, die andere pausenlos wegen einer anderen Meinung anprangern, selbst wenn diese zigfach um Verzeihung gebeten haben, gehen mir inzwischen auch “am Arsch vorbei”. Nun also ein Interview des in Ungnade Gefallenen mit “Zeit-Online”. Es trägt schlicht den Titel “Bäh” und bringt dem Leser einen – zumindest dem Anschein nach – innerlich aufgeräumten Menschen nahe. Einen, der begriffen zu haben scheint, dass es das eigene Leben nicht wertvoller macht, wenn der Applaus niemals abebbt.
In dem Interview erzählt Schweiger von seinem Vater, seinen Kindern und den Zeichen des Alters. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, und man hat das Gefühl, da redet einer, der keine Kompromisse mehr macht, um besser anzukommen. Es ist wirklich ein ganz normales, offenes Interview, wie es sie schon millionenfach gegeben hat. Der Journalist bohrt nach, etwa, als es um eine “Schelle” geht, die Schweiger einem Mitarbeiter verabreicht haben soll, die seiner Meinung nach “ein Klaps” gewesen sei, für den der Regisseur sich jedoch glaubhaft entschuldigt habe.
Der Wunsch, geliebt zu werden
Das Interessante – neben dem Interview – aber sind die Reaktionen darauf. Es gibt in den Kommentarspalten sehr viele Leute, die sich derart getriggert mitteilen, als hätten sie mit eigenen Augen ansehen müssen, wie Til Schweiger erst heimlich 500 Katzenbabys ersäuft und dann bei ihnen persönlich direkt mit der Tür ins Haus fällt, um auf ihren nigelnagelneuen Wohnzimmerteppich zu pinkeln.
Schweiger sei eine “Verkörperung einer patriarchalen, weißen Machogesellschaft, die wir hoffentlich bald überwunden haben”, ist dort etwa zu lesen, während der “Manta, Manta”-Schauspieler dem Journalisten unter anderem davon berichtet, wie er, immer wenn sein Entdecker und verstorbener Freund Bernd Eichinger wieder Arien von Maria Callas hörte, “mit Wodka spazieren ging”. Als Leser hat man da natürlich sofort Bilder vor Augen, wie da wohl ein dem Alk nicht abgeneigter Mensch mit ner Pulle Schnaps durch die Gegend tigert. Tatsächlich handelte es sich aber um den Hund von Eichinger, der Wodka hieß.
Natürlich kann man kritisieren, dass aus Schweigers Erzählungen auch ein gewisser Geltungsdrang spricht. Der Wunsch, respektiert und geliebt zu werden – von der Familie, den Leuten im Krankenhaus, die sich derzeit um ihn kümmern, von den Kollegen. Aber dieser Wunsch ist in jedem von uns. Nicht nur bei Künstlern und Kreativen. Bei denen jedoch besonders! Und nicht nur Künstlerseelen verdorren, wenn die Anerkennung ausbleibt. Das ist kein Macho-Gehabe, das man Schweiger im Besonderen zuschreiben möchte, das ist menschlich.
Dieser Wunsch offenbart sich bei dem 60-Jährigen eben auch in einem gewissen Namedropping á la: Mensch, der saucoole Guy Ritchie ruft mich an, ich hab dem Steven Spielberg mal ne Rolle abgesagt, und na ja, es stimmt schon, dass ich am Filmset schon “Standgas” hatte. Andererseits: Hey, der Mann ist seit Jahren im Filmgeschäft! Es ist vollkommen normal, dass man da berühmte Leute kennt! Ist Til Schweiger eitel, arrogant oder vielleicht kein netter Mensch? Möglicherweise. Aber er ist kein Verbrecher. Es sei denn, er hat Ihren nigelnagelneuen Wohnzimmerteppich gestohlen, bevor er drauf gepinkelt hat! Also, bitte! Es ist keine Kriegserklärung! Es ist ein Interview!
“Kübelweise Hass und schlechte Laune”
Längst schon hat dieses moralinsaure (Vor)verurteilen ein gewisses Geschmäckle. Schön wäre es aber auch, die gleiche Sorgfalt bei mutmaßlichen Missständen von erfolgreichen Frauen walten zu lassen. Jenen coolen, ach so feministischen “Boss-Bitches”, die in den TV-Anstalten ein- und ausgehen und von Gleichberechtigung und “Woman Empowerment” säuseln, während sie hintenrum dem Bruder, der Cousine dritten Grades oder dem aktuellen Lover lukrative Jobs in den Medien besorgen. Der Klüngel hat sich schon längst durch die gesamte Medienlandschaft gezogen.
Vielleicht ist es auch nie anders gewesen, oder um es mit den Worten eines weiteren “Zeit”-Kommentators zu sagen: “Es ist irgendwie interessant, na ja zumindest ein bisschen, wie hier sofort alle KommentatorInnen hochdrehen und kübelweise ihren Hass und ihre schlechte Laune abladen, und ich frage mich immer, warum Til Schweiger so triggert. Dass er Probleme mit dem Alkohol hat, ist ja unbestritten, aber er war und ist immer noch ziemlich erfolgreich (und viel kreativer als die meisten hier vermutlich).”
Ist es legitim, nicht jeden von Schweigers Filmen abzufeiern? Sein Verhalten am Filmset oder seine schauspielerische Leistung zu kritisieren? Selbstverständlich. Oder wie aus einer weiteren Lesermeinung hervorgeht, die nicht in den hässlichen Kanon der verachtenden Meinungsäußerungen einstimmt: “Seine Aussagen wirken authentisch und ungeschönt. Fähnchen im Wind, die sozial erwünscht antworten und so ein Interview nutzen würden, um ihr Image aufzupolieren, gibt es wie Sand am Meer. In seinen Sätzen stecken ne Menge Selbstoffenbarung und durchaus auch Hinweise für Schwächen. Ums mit seinen Worten zu sagen: Dafür braucht man erstmal die Eier.” Kleine Info an alle Moralapostel, die nach dieser Kolumne emotional frei drehen: Ich habe keinen Wohnzimmerteppich.