Ricarda Lang und ihr spätes Jurastudium: Triumph, Trotz oder nur ein PR-Gag?

Manchmal schreibt das Leben Geschichten, die so seltsam klingen, dass sie keiner Drehbuchautorin durchgehen würde. Ricarda Lang, 31, Bundesvorsitzende der Grünen, hat nach 13 Jahren endlich ihren Bachelor of Laws abgeschlossen. Dreizehn Jahre – das ist länger als manche politische Karrieren, länger als so mancher Kanzler im Amt bleibt, länger als das Warten auf „GTA6“, mit dem sie ihren Abschluss auf Instagram selbstironisch verglich. Sie posiert mit Blume, strahlendem Lächeln und einem Outfit, das Feierlichkeit signalisieren soll. Ein Bild, das Sympathien weckt, Jubel auslöst – und doch auch eine Menge Fragen.

Denn was bedeutet dieser Abschluss eigentlich? Ist er ein Beweis für Durchhaltevermögen oder ein Eingeständnis, dass Politik für sie immer wichtiger war als jedes Studium? Ist er eine private Episode oder ein politisches Statement? Wer Lang kennt, weiß: Nichts bleibt privat, wenn man an der Spitze einer Partei steht. Jeder Schritt wird seziert, jeder Post gewogen, jeder Kommentar analysiert. So auch dieser Abschluss, der einerseits als kleine persönliche Notiz erscheinen könnte – und andererseits als Symbol, mit dem sie gleich mehrere Debatten anstößt.

Ihre Follower reagierten begeistert. Glückwünsche, Applaus, Schmunzeln. Mehr als 215.000 Menschen folgen ihr auf Instagram, und viele schienen den Moment ehrlich zu feiern. Einige nahmen die Gelegenheit für ironische Spitzen: „Aber ‚die Grünen!‘ haben doch alle keine Abschlüsse – musst du jetzt in eine andere Partei?“ Andere frohlockten, dass Kritiker nun ein altbekanntes Vorurteil weniger haben. Tatsächlich war der fehlende Studienabschluss für Lang lange ein Angriffspunkt. In Talkshows, Kommentaren und sozialen Medien wurde sie immer wieder auf ihre „fehlende Qualifikation“ reduziert. Nun könnte sie den Spieß umdrehen – und mit einem selbstironischen Lächeln kontern.

Doch genau da liegt der Zündstoff. Denn Kritiker werden fragen: Warum so lange? Warum jetzt? Dreizehn Jahre für einen Bachelor, den andere in sechs oder sieben schaffen? War es reiner Ehrgeiz, der sie nach all den Jahren noch einmal an den Schreibtisch zwang – oder ein Kalkül, um pünktlich zur heißen Phase der politischen Karriere eine neue Legitimation präsentieren zu können? Ist dieser Abschluss Ausdruck von Disziplin – oder eher das Resultat einer PR-Strategie?

Natürlich lässt sich argumentieren: Politik ist zeitintensiv, gerade für jemanden, der schon früh Verantwortung übernimmt. Lang trat nach dem Abitur 2012 ins Studium ein, doch bald war sie mittendrin in der grünen Parteiarbeit. Der Aufstieg war rasant: Von der Basisarbeit über die Jugendorganisation bis an die Parteispitze. Seit 2019 ruhte das Studium. Wer in dieser Zeit nebenbei noch juristische Examen schaffen wollte, hätte vermutlich keine Nächte mehr zum Schlafen gehabt. Doch trotzdem bleibt das Gefühl: Der Zeitpunkt ist auffällig.

Denn die Grünen stehen unter Dauerbeschuss. In den sozialen Medien toben Kampagnen, in Umfragen schwankt die Zustimmung, die Koalition ächzt unter Druck. Inmitten dieser Krisen meldet sich die Parteichefin mit einer frohen Botschaft. Sie inszeniert sich nicht als angeschlagene Politikerin, sondern als erfolgreiche Absolventin. Eine Frau, die beweist, dass sie nicht nur Wahlkämpfe gewinnt, sondern auch Prüfungen. Wer das für Zufall hält, unterschätzt die Macht der Symbolpolitik.

Aber reicht ein verspäteter Bachelor, um die Kritiker zu besänftigen? Wohl kaum. Wer Lang ablehnt, wird den Abschluss als „billigen PR-Gag“ abtun, als Versuch, ein schwaches Image aufzupolieren. Wer sie unterstützt, wird ihn feiern, als Beleg für Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit. Wieder einmal teilt ein simples Detail die Republik in Lager, die sich gegenseitig verhöhnen.

Interessant ist, wie gelassen Lang selbst mit dieser Ambivalenz umgeht. „Ricarda Lang hat Studienabschluss vor GTA6“, schrieb sie unter ihr Foto. Ein Satz, der zugleich Selbstironie und Trotz ausstrahlt. Ein Satz, der signalisiert: Ich weiß, dass ihr mich belächelt habt, ich weiß, dass ihr euch an meinem fehlenden Abschluss festgebissen habt – und genau deshalb mache ich es mir selbst zum Witz, bevor ihr es tut. Das ist clever, charmant, und es erklärt ein Stück weit, warum sie bei vielen jungen Menschen so beliebt ist.

Doch man darf nicht vergessen: Humor ersetzt keine Inhalte. Der Abschluss ist ein privates Erfolgserlebnis, doch er beantwortet nicht die Frage, wie Lang und ihre Partei die Energiekrise meistern wollen, wie sie Wähler zurückgewinnen wollen, wie sie das Vertrauen in eine taumelnde Koalition retten wollen. Ein Bachelor mag ein Schlaglicht sein, ein kleiner Sieg in einer Debatte über Bildung und Glaubwürdigkeit. Aber Politik entscheidet sich nicht in Seminarräumen, sondern auf den Straßen, in den Parlamenten, in den Köpfen der Menschen.

Und trotzdem: Es ist bemerkenswert, dass gerade eine Politikerin, die so oft Zielscheibe hämischer Kritik war, diesen Moment für sich reklamiert. Sie dreht das Narrativ um. Aus dem Makel wird ein Triumph, aus dem Vorwurf eine Pointe, aus der Schwäche ein Sieg. Sie zwingt ihre Gegner, neue Angriffsflächen zu suchen. Das ist, ob man sie mag oder nicht, ein geschickter Schachzug.

Am Ende bleibt die Frage, wie viel Gewicht man diesem Abschluss beimessen sollte. Ist er ein echter Wendepunkt in Langs Karriere oder nur eine hübsche Randnotiz? Ist er ein Beweis für Disziplin oder ein Beweis dafür, wie sehr Politik und Privates in der modernen Medienwelt verschmelzen? Wahrscheinlich beides. In jedem Fall ist er ein weiterer Baustein in der Legende einer Politikerin, die polarisieren will und kann.

So oder so: Die Geschichte hat Schlagzeilenwert. Eine Grünen-Chefin, die nach 13 Jahren endlich ihren Bachelor macht, ist Stoff für Jubel und Spott zugleich. Und vielleicht ist es genau das, was sie beabsichtigt. Denn wer von allen Seiten kritisiert wird, lebt am Ende länger in den Schlagzeilen als jene, die niemanden provozieren.