Er hat die deutschen Charts geprägt, einen Welt-Hit mit „Ein bisschen Frieden“ geschrieben und Generationen von Schlagerfans begleitet – und doch gibt Ralph Siegel nun offen zu: „Ich habe auch ein bisschen Raubbau getrieben.“ Worte, die man von einem Mann hört, der mehr als sechzig Jahre im Musikgeschäft überlebt hat. Der Produzent, der im Glanz des Eurovision Song Contest triumphierte, gesteht heute, dass die Nächte oft zu lang, die Gläser oft zu voll und die Partys oft zu hemmungslos waren.
„Wenn es früher spät wurde – und bei uns wurde es meistens sehr spät – habe ich auch gerne mal zu tief ins Glas geguckt.“ Eine Beichte, die erschreckt, aber kaum überrascht. Denn hinter dem Glanz der Shows stand schon immer der Preis der Exzesse. Dass Siegel heute mit Herzschwäche und Polyneuropathie kämpft und bereits mehrere Krebserkrankungen überstanden hat, klingt wie die Quittung eines Lebens auf der Überholspur. Und doch: der 79-Jährige nennt sich „ziemlich fit“. Fit genug, um sich nicht in den Ruhestand zu verabschieden, sondern den wohl kühnsten Plan seiner Karriere zu schmieden.
Mit 80 will er noch einmal zum ESC – und diesmal nicht für San Marino, sondern wieder für Deutschland. Ein Mann, der alles erreicht hat, der längst Legende ist, will noch einmal ins Haifischbecken des Pop zurück. Warum? Weil der Wettbewerb, der ihn einst unsterblich machte, auch seine größte Droge war.
Die Wahrheit ist unbequem: Ralph Siegel verkörpert die alte Schule des Showbusiness, in der Exzesse als Währung galten. Seine Offenheit wirkt wie ein Schlag ins Gesicht derer, die glauben, Disziplin und Verzicht seien der einzige Weg zum Erfolg. Er hat sich das Leben zerstört und gleichzeitig überlebt. Und nun will er der Welt beweisen, dass selbst ein Körper voller Narben noch einmal für die große Bühne brennen kann.
Doch hier beginnt die Provokation: Braucht Deutschland wirklich noch einen ESC-Beitrag aus der Feder eines Mannes, der seine größten Siege in den Achtzigern feierte? Oder ist gerade das die Pointe – dass ein 80-Jähriger mehr Mut hat als eine ganze Generation junger Musiker, die beim ESC reihenweise scheitern?
Ob Triumph oder Tragödie: Siegel zwingt uns, hinzusehen. Auf einen Künstler, der sein Leben gegen jede Vernunft gelebt hat. Auf einen alten Mann, der sein Alter nicht akzeptieren will. Und auf ein Comeback, das so unwahrscheinlich klingt, dass es gerade deshalb passieren könnte.
Ralph Siegel – er trank, er feierte, er fiel. Und er steht wieder auf. Jetzt will er es der Welt ein letztes Mal beweisen. Vielleicht ist genau das die Geschichte, die der ESC heute braucht.