Die Straßen von Dülmen in Nordrhein-Westfalen sind still. Sie atmen eine Ruhe, die in starkem Kontrast zu den pulsierenden, neonbeleuchteten Nächten Mallorcas steht. Hier, weit weg vom Trubel des Bierkönigs, führt Jürgen Drews, der Mann, der sich selbst als “König von Mallorca” krönte,
einen leisen Kampf. Im April dieses Jahres vollendete er sein 80. Lebensjahr. Es ist ein Meilenstein, der nicht nur von Feierlichkeiten, sondern auch von einer tiefen Wehmut und der unumstößlichen Realität einer unheilbaren Krankheit geprägt ist.
Der Mann, der jahrzehntelang als Inbegriff der unermüdlichen Party-Energie galt, der mit “Ein Bett im Kornfeld” einen Evergreen schuf und Generationen von Urlaubern zum Mitsingen brachte, lebt heute zurückgezogen. Die Bühne, einst sein Königreich, ist fern. Die Gesundheit fordert unerbittlich ihren Tribut.
Dies ist die Geschichte eines Mannes, der alles hatte – Ruhm, Erfolg, eine treue Fangemeinde – und nun mit der Zerbrechlichkeit des Alters und dem schmerzlichen Verlust seiner Identität als Entertainer konfrontiert wird. Es ist die Geschichte einer Legende, die lernen muss, im Stillstand zu leben.

Die Wurzeln der Unermüdlichkeit
Um den heutigen Jürgen Drews zu verstehen, muss man zurückblicken in eine Zeit, die von Unsicherheit und Aufbruch geprägt war. Geboren am 2. April 1945 in Nauen bei Berlin, erblickte er das Licht der Welt inmitten der Trümmer des Nachkriegsdeutschlands. Diese Jahre des Mangels und des Wiederaufbaus prägten ihn. Die Familie zog nach Westdeutschland, nach Schleswig-Holstein, auf der Suche nach einer besseren Zukunft.
Schon früh war die Musik sein Anker. Während andere Kinder spielten, faszinierten ihn Instrumente. Er lernte Banjo, entdeckte den Jazz in den Clubs, die von amerikanischen Soldaten frequentiert wurden. Diese frühen Einflüsse formten einen Charakter, der von Disziplin, aber auch von einer unbändigen Abenteuerlust geprägt war. Die Härte des Alltags schuf eine Resilienz, die ihn später durch die Höhen und Tiefen einer beispiellosen Karriere tragen sollte.
Die vielleicht mutigste Entscheidung seines jungen Lebens war der Abbruch seines Medizinstudiums. Er wählte die Musik, eine Entscheidung, die Risiken barg, aber sein Leben definieren sollte. Seine ersten Auftritte in verrauchten Kneipen vor Arbeitern und Soldaten waren bescheiden, aber hier lernte er das Handwerk, das ihn berühmt machen sollte: Emotionen durch Melodien zu transportieren. Schon damals, so scheint es rückblickend, keimte eine subtile Melancholie in ihm auf – die Sehnsucht nach einer Stabilität, die ihm das unstete Leben auf der Bühne so oft verwehrte.
Der Preis des Ruhms: Von den Singers zum Solo-Star
Der Durchbruch kam in den 1970er Jahren. Als Mitglied der Les Humfrey Singers eroberte Drews Europa. Die internationale Popgruppe, ein Schmelztiegel aus Gospel, Rock und Soul, stürmte mit Hits wie “Mexico” und “Mama Loo” die Charts. Fernsehauftritte, ausverkaufte Hallen – Drews war im Rampenlicht angekommen.
Doch der Erfolg hatte einen hohen Preis. Wie Freunde und Wegbegleiter berichten, war die Zeit berauschend, aber auch zermürbend. Intern wurde die Gruppe von Konflikten geplagt. Der autoritäre Stil des Gründers Les Humphries führte zu Spannungen. Drews fühlte sich eingeengt, unterdrückt. Die monatelangen Tourneen, der Schlafmangel und die ständige öffentliche Präsenz forderten ihren Tribut. Momente der Einsamkeit hinter der Bühne, wenn der Applaus verhallt war, wurden häufiger. Der Glamour verblasste und wich einer tiefen Erschöpfung.
1976 zog er die Reißleine. Die Trennung von der Band war ein Wendepunkt, ein Sprung ins Ungewisse. Er wollte solo gehen. Es war die Geburtsstunde des Jürgen Drews, wie Deutschland ihn kennen und lieben lernen sollte. Ein Jahr später landete er den Coup seines Lebens: “Ein Bett im Kornfeld”. Der Song, eine Coverversion, wurde zum Sommerhit des Jahres und verkaufte sich millionenfach.
Plötzlich war er der Star der deutschen Schlagerszene. Er tourte unermüdlich durch Festzelte, sang “Barfuß durch den Sommer” und wurde zum Symbol für Leichtigkeit und Freude. Er definierte das Genre neu, brachte einen Hauch von Rock’n’Roll in den oft als kitschig verschrienen Schlager. Doch der Druck wuchs. Die Branche war hart umkämpft. Jede weniger erfolgreiche Single nagte am Selbstvertrauen. Die ständigen Reisen belasteten sein Privatleben und forderten erste gesundheitliche Opfer.

Der König von Mallorca: Zenit und Abgrund
In den 1990er Jahren erfand sich Drews neu. Mallorca wurde sein zweites Zuhause, der “Bierkönig” und die “Oberbayern” seine Kathedralen. Tausende deutsche Touristen feierten ihn als “König von Mallorca” – ein Spitzname, den ihm einst Thomas Gottschalk bei “Wetten, dass..?” verlieh und der zu seiner Marke wurde.
Es war der absolute Zenit seiner Karriere. Er verkörperte den Traum vom Leben unter der Mittelmeersonne. Seine Shows waren legendär, eine Mischung aus Party, Ekstase und Volksnähe. Er baute ein kleines Imperium auf. Doch der Titel war Segen und Fluch zugleich. Er brachte ihm immensen Ruhm, reduzierte ihn aber auch auf das Image des oberflächlichen Partykönigs.
Inmitten dieses Trubels fand er seinen emotionalen Anker: Ramona. Sie heirateten 1994, die Geburt ihrer Tochter Joelina folgte ein Jahr später. Ramona wurde zur unerschütterlichen Stütze in einem Leben, das von Exzessen und Stress geprägt war. Der intensive Lebensstil auf der Insel, der oft übermäßige Alkoholkonsum in den Partynächten und der Dauerstress der Auftritte belasteten seinen Körper zunehmend. Freunde aus dieser Zeit berichten von Momenten tiefer Erschöpfung nach den Shows, wenn er allein im Hotelzimmer saß und über die Vergänglichkeit des Ruhms nachdachte. Die Popularität wuchs, aber die emotionale Isolation im Auge des Hurrikans nahm zu.
Der unheilbare Feind: Polyneuropathie
Der schleichende Abschied begann lange vor der offiziellen Ankündigung. Seit Jahren kämpft Jürgen Drews gegen Polyneuropathie, eine unheilbare Nervenkrankung. Die Diagnose war ein Schock und markierte den entscheidenden Wendepunkt. Die Symptome – Taubheitsgefühle in Händen und Füßen, anhaltende Schmerzen, Muskelschwäche und eine zunehmend eingeschränkte Mobilität – machten das Performen auf der Bühne zur Qual und schließlich unmöglich.
Der einst so agile Entertainer, der über die Bühne tanzte, musste akzeptieren, dass sein Körper ihm Grenzen setzt. Im Juli 2022, in einer emotionalen Schlagershow, verkündete er unter Tränen das Ende seiner Karriere. “Es war eine schöne Zeit”, sagte er und eine ganze Nation hielt den Atem an. Sein letztes großes Konzert, “Der große Schlagerabschied”, wurde zu einem Höhepunkt der Emotionen, ein letztes Aufbäumen gegen die Krankheit, ein Tribut an ein Leben für die Musik.
Der Verlust der Bühne war mehr als nur das Ende eines Jobs; es war ein Identitätsverlust. Die Krankheit belastete nicht nur seinen Körper, sondern auch seine Seele. Die Traurigkeit, nie wieder die Energie des Publikums spüren zu können, sitzt tief.
Ein Leben in der Stille: Das Alter mit 80
Heute, mit 80 Jahren, lebt Jürgen Drews zurückgezogen. Im Jahr 2024 zog er mit Ramona nach München, um näher bei Tochter Joelina zu sein. Sein Alltag ist geprägt von der Krankheit. Ruhige Spaziergänge haben die ekstatischen Bühnenshows ersetzt, Arztbesuche den Applaus.
In Interviews reflektiert er über die Triumphe der Vergangenheit, doch die Melancholie ist spürbar. Die Bühne fehlt ihm schmerzlich. Wie seine Tochter Joelina öffentlich zugab, gibt es gute und schlechte Tage. Die Angst um den Vater ist ein ständiger Begleiter. Die Familie, die immer sein Rückzugsort war, ist nun sein Pflegeteam, sein emotionales Bollwerk gegen die Resignation.
Sein Vermächtnis in der deutschen Musikwelt ist unangetastet. Seine Lieder werden Generationen überdauern. Doch der persönliche Preis für dieses Leben im Überholspur ist hoch. Die Stille, die ihn nun umgibt, ist für einen Mann wie Jürgen Drews lauter als jeder Jubel es je war. Er ist konfrontiert mit der Traurigkeit des Alterns, dem Verblassen vergangener Erfolge und der Fokussierung auf das, was bleibt: die Gesundheit und die Liebe seiner Familie.
Der König von Mallorca hat abgedankt, nicht freiwillig, sondern gezwungen von einem Feind, den er nicht besiegen kann. Sein letztes Kapitel ist kein lautes Fest, sondern eine leise Lektion in Akzeptanz und ein Zeugnis der menschlichen Verletzlichkeit, die selbst die größten Legenden einholt.