Er war das Idol einer ganzen Generation, ein Symbol des ostdeutschen Showgeschäfts, die sanfte Stimme, die durch Jahrzehnte klang – und jetzt, mit 82 Jahren, klingt Frank Schöbel anders. Rau, ehrlich, wütend. Nach Jahrzehnten des Schweigens bricht er sein Schweigen – und das, was er sagt, kratzt am Lack eines Systems, das Millionen zum Träumen brachte. Der Mann, der einst die DDR zum Singen brachte, spricht heute von Verrat, Lügen, Eitelkeit und einer Branche, die ihre eigenen Legenden frisst.
Es sind keine beiläufigen Bemerkungen, die Schöbel macht. Es sind Anklagen. Namen fallen, große Namen. Helene Fischer. Roland Kaiser. Wolfgang Lippert. Andrea Berg. Matthias Reim. Fünf Ikonen – und für Schöbel fünf Narben, die nie verheilten. Doch was steckt hinter diesen Geständnissen eines alternden Stars? Bitterkeit? Wahrheit? Oder schlicht die Abrechnung eines Mannes, der spürt, dass sein Lebenswerk im Schatten glänzenderer Lichter verblasst?
Für Schöbel begann alles mit dem Gefühl, ersetzt zu werden. Er war die Stimme des Ostens, doch nach der Wende, sagt er, „wurden wir zu Fußnoten“. Besonders Helene Fischer – die Frau, die den modernen Schlager zur globalen Marke erhob – ist für ihn Symbol dieser Entseelung. „Alles ist perfekt, aber nichts ist echt“, wirft er ihr vor. Der Mann, der Musik als Herzblut verstand, sieht in ihr das Ende dessen, was Musik einmal bedeutete: Ehrlichkeit, Gefühl, Menschlichkeit.
Als man ihn 2013 von einer großen ARD-Gala ausschloss, um nur Fischer die Bühne zu überlassen, wurde ihm klar: In der neuen Glitzerwelt zählt kein Vermächtnis mehr, nur noch Vermarktung. Und als sie später, so heißt es, sogar darauf bestand, dass er bei einer Weihnachtsshow nur im Zusammenschnitt auftaucht, verstand er – Tradition war keine Tugend mehr, sondern ein PR-Risiko.
Dann kam Roland Kaiser. Für viele der Gentleman des Westens, für Schöbel der Schatten, der sich über ihn legte. Zwei Männer, zwei Systeme – nach der Wende prallten sie frontal aufeinander. „Wir hatten Erfolg, aber Kaiser bekam die Scheinwerfer“, sagt Schöbel. Ein Satz, der klingt wie eine Lebensbilanz. Während Kaiser mit „Santa Maria“ und „Joana“ zum gesamtdeutschen Star wurde, blieb Schöbel der Mann von gestern, der Veteran einer versunkenen Republik.
Besonders bitter: Als beide 1995 bei einem Charity-Konzert auftreten sollten, wurde Schöbel kurzerhand von der Primetime in den Nachmittag verbannt – angeblich auf Kaisers Wunsch. Und als Kaiser später als Legende mit Live-Orchester gefeiert wurde, musste Schöbel Playback singen. Es war nicht nur Demütigung, es war die symbolische Krönung des Westens über den Osten.
Doch die tiefsten Schnitte kommen oft von jenen, die einem nahe standen. Wolfgang Lippert – einst Freund, Kollege, Gesicht des DDR-Fernsehens – wurde nach der Wende zur Schlüsselfigur des neuen Entertainments. Während Schöbel kämpfte, übernahm Lippert die Kameras, die Shows, die Schlagzeilen. Und als er öffentlich sagte, die Leute wollten „neue Gesichter, nicht alte Schlageronkels“, verstand jeder, wen er meinte.
Für Schöbel war das Verrat – nicht nur beruflich, sondern menschlich. „Er hat mir das Messer in den Rücken gerammt“, sagte er später. Ein Satz, der nachhallt in einer Branche, die nach außen lächelt, während sie sich innen zerfleischt.
Andrea Berg – eine andere Wunde, glitzernd und tief. Für viele die Königin des Schlagers, für Schöbel die Totengräberin der Seele des Genres. „Das ist kein Lied mehr, das ist ein Produkt“, urteilt er. Hinter der Bühne, erzählt man, soll sie sich geweigert haben, mit ihm fotografiert zu werden – sie wollte „nicht in die Retroschublade“. Für Schöbel der endgültige Beweis: Die neue Generation will vom Alten nur die Bühne, nicht die Geschichte.
Als ihm 2018 bei einer Preisverleihung der Ehrenauftritt gekürzt wurde – um Berg mehr Zeit für ihre Show zu geben – verstand er die Botschaft. „Für ihre Lichtershow hat man meine 50 Jahre Musik gestrichen“, sagte er danach. Es war kein Groll eines Alten – es war der Schmerz eines Mannes, der sieht, wie seine Lebensarbeit in Scheinwerferlicht verdampft.
Und dann Matthias Reim. Der Rebell, der Spieler, der Mann mit den Schulden und den Schlagzeilen. Für Schöbel ist Reim das Symbol jener Oberflächlichkeit, die den Schlager vergiftet habe. „Er konnte Millionen verspielen, und man hat ihm applaudiert“, sagt er. Für Schöbel, der Disziplin und Ehrlichkeit als Tugend verstand, war das der moralische Bankrott der Branche.
Als Reim ihn 2002 backstage ignorierte und später auf einer Gala den Hauptslot bekam, war für Schöbel klar: In dieser Welt wird Chaos belohnt, Beständigkeit bestraft. „Es war, als hätte es mich nie gegeben“, sagte er später. Worte, die leiser sind als Wut, aber schärfer als jede Beleidigung.
Fünf Namen, fünf Spiegelbilder eines Systems, das Glanz liebt und Dankbarkeit vergisst. Doch zwischen den Zeilen von Schöbels Bitterkeit schimmert auch etwas anderes: die Wahrheit eines Mannes, der erlebt hat, wie Ruhm funktioniert – und wie er verschwindet.
Seine Kritik ist keine Nostalgie eines Alten, sondern das Zeugnis einer Branche, die sich selbst entfremdet hat. Wo einst Musik Gefühl war, regiert heute Marketing. Wo einst Persönlichkeit zählte, zählen heute Klicks. Und während die Bühnen heller leuchten, werden die Herzen dahinter dunkler.
Vielleicht ist das der Grund, warum Schöbels Worte so nachhallen. Nicht, weil sie verletzen, sondern weil sie entlarven. Der 82-Jährige spricht nicht nur über Helene Fischer oder Roland Kaiser – er spricht über ein ganzes System, das sich selbst vergisst, sobald das Rampenlicht ausgeht.
Seine Abrechnung ist kein Schrei nach Aufmerksamkeit. Es ist das leise, ehrliche Donnern eines Mannes, der den Glanz noch kennt, als er echt war. Und der weiß: Nichts blendet so sehr wie ein falsches Licht.