Sie war das „Goldmädchen“ einer Republik, die noch an Sommer ohne Schatten glauben wollte: ein Kinderstar, der 1951 mit „Pack die Badehose ein“ mehr als nur ein Lied lieferte – ein Versprechen. Seither klebt an Cornelia Froboess, liebevoll „Connie“ genannt, eine Legende, die so glatt poliert ist, dass man sich daran spiegelt. Doch was passiert, wenn man dieses Spiegelbild zerkratzt? Wenn man hinter das Schlagerlächeln blickt, dort, wo Entscheidungen wehtun, Väter sterben, Ehen beinahe brechen und Karrieren an der eigenen Loyalität scheitern? Was bleibt von der Ikone, wenn wir die Nostalgie ausblenden und die Frau stehen lassen?
Beginnen wir mit dem Tabu, das Fans nicht lieben: Die größte Wunde dieser Karriere ist nicht eine schlechte Kritik oder ein missglückter Auftritt, sondern der plötzliche Tod ihres Vaters Gerhard – Komponist, Mentor, Antreiber, Maßstab.
Er war der Mann, der das Mädchen an das Klavier führte und es zugleich in den Druck der Erwartung schob. Als er 1971 starb, stand Cornelia öffentlich aufrecht und privat am Abgrund. Die Republik applaudierte, während sie nachts am Klavier saß und schwieg. Wer heute „Badehose“ mitsummt, hört meist nicht das, was zwischen den Zeilen klirrt: Dankbarkeit, die nie ausgesprochen wurde, und Schuld, die niemand hören wollte. Es ist bequem, sich an Sommer zu erinnern; unbequem ist die Erkenntnis, dass dieses Sommerkind auf einer winterkalten Bühne erwachsen werden musste.
Unbequem ist auch die Wahrheit über eine Entscheidung, die man im Feuilleton so gern romantisiert: das Nein zu einem internationalen Sprung in die USA, als die Angebote glitzerten und die Laufbahn auf Fernkurs stand. Aus Karrierehandbüchern kennt man die Moral: „Greif zu!“ Cornelia tat das Gegenteil – sie blieb, weil die Mutter nach dem Tod des Vaters in die Tiefe rutschte. Kein heroischer Auftritt, keine rote Teppichkante, kein Hollywood-Glamour, sondern Pflege, Pflicht und das peinigende Gefühl, dem eigenen Leben beim Vorüberziehen zuzusehen. Wer nennt das heute noch Größe? Oder ist es in Wahrheit die unpopulärste Art von Mut, die es im Showgeschäft gibt: nicht die Welt zu erobern, sondern die eigene Familie zu halten? Dass sie dieses Opfer Jahre lang verschwieg – sogar vor Helmut Matiasek, dem Regisseur, Partner, Gegenspieler und späteren Ehemann – ist kein Skandal. Es ist ein Statement gegen die Mär, man könne alles haben, ohne irgendwo jemandem zu fehlen.
Apropos Ehe: 55 Jahre Partnerschaft werden gern als strahlende Zahl präsentiert. Doch jede lange Zahl hat Dezimalstellen, und in ihnen sitzt das Leben. Ende der 1960er ging Cornelia auf Europatour, während daheim ein Regisseur Vater sein musste. Die Briefe, erst Liebessprache, wurden zu Abrechnungen; die Familie wackelte, die Kunst fraß Zeit, die Kinder wuchsen, und irgendwo zwischen Paris und München weinte eine Frau in einem Hotelflur über ein Haus, das ohne sie funktionierte. Der Wendepunkt: Rückkehr, Regelwerk, ein Kiemsee-Sommer mit der demonstrativen Einfachheit von Wiesen, Fischgeruch und Versprechen. Man kann das sentimental finden – oder radikal. Denn in einer Branche, die Trennungen verkauft wie Singles, entschieden sich zwei Künstler für Logistik, Disziplin und das Unsexyste überhaupt: Planbarkeit. Das ist kein Kitsch, das ist Kampf.
Wer Cornelia nur als Poster betrachtet, verpasst die eigentliche Provokation ihrer Biografie: Sie ist nicht die Geschichte der permanenten Expansion, sondern die der klugen Selbstbegrenzung. Kein Dauerrausch, sondern wiederholte Verweigerung. Keine Skandale, sondern Kompromisse, die teuer sind, weil sie unsichtbar bleiben. Sie hätte die Welt haben können – sie entschied sich, nicht den Preis jedes Tickets zu zahlen. In einer Gegenwart, die „Selbstoptimierung“ brüllt, wirkt das rückwärtsgewandt. In Wahrheit ist es revolutionär: zu akzeptieren, dass Erfolg eine Grenze hat, die man selbst zieht.
Natürlich gibt es den Glanz, den man aufzählen kann: über hundert Lieder, prägende Film- und Theaterrollen, Bambi, Auszeichnungen, Standing Ovations. Es gibt das Haus in München, die stillen Rosen im Garten, die Tiroler Winter, die Mercedes-Eleganz und den alten Käfer als Erinnerung. Es gibt die Workshops für junge Stimmen, die weitergeben, was ein Vater einmal begann. Und es gibt die Kinder – Agnes, die Kreative, und Kasper, der Musiker –, die zeigen, dass „Vermächtnis“ mehr sein kann als eine goldene Schallplatte in einer Vitrine.
Doch der Glanz erklärt nicht, warum ausgerechnet diese Künstlerin zu einer Projektionsfläche über Generationen wurde. Die Antwort ist unbequem: Weil sie das Gegenteil dessen bietet, was wir vom Showgeschäft fordern. Wir wollen Eskalation, sie zeigt Entschleunigung. Wir wollen Grenzsprint, sie zeigt Zuwendung. Wir wollen den internationalen Triumphbogen, sie baut ein heimisches Geländer. Wer das altmodisch nennt, muss erklären, warum so viele Karrieren spektakulär stürzen, wenn niemand mehr da ist, der sie festhält. Cornelia Froboess ist die Antithese zur Selbstvermarktung als Lebenszweck – und gerade darum eine Provokation für eine Kultur, die nur noch Siegerposen toleriert.
Und ja, da ist das Alter. Die Knie melden sich, die Augen mucken, der Spaziergang wird kürzer, der Stock an kalten Tagen ein stiller Partner. Das klingt nach Schwäche, ist aber die ehrlichste Form künstlerischer Wahrhaftigkeit: die Konsequenzen eines Lebens auf der Bühne anzuerkennen und sie nicht mit Filtern zuzudecken. Es gehört Courage dazu, den eigenen Körper nicht als Versagen, sondern als Chronik zu lesen – Kapitel für Kapitel, von Kindheit bis jetzt. Wer das langweilig findet, hat von Dramaturgie nichts verstanden: Nichts ist spannender als eine Figur, die nicht lügt.
Bleibt die Frage, vor der Nostalgie stets kapituliert: Wofür feiern wir Connie wirklich? Für ein Lied aus den 1950ern? Für eine Kindheit, die uns heute wie eine Postkarte aus einer harmloseren Welt vorkommt? Oder feiern wir eine künstlerische Ethik, die in jede Zeit passt, gerade weil sie sich nicht jeder Zeit anbiedert? Wenn wir ehrlich sind, ist Cornelia Froboess die leise Ohrfeige für unsere laute Gegenwart. Sie erinnert uns, dass Rücksicht nicht Rückschritt ist, dass Verantwortung mehr Wagnis erfordert als jede Welttournee und dass Loyalität gegenüber den eigenen Menschen der härteste Vertrag ist, den man unterschreiben kann.
Wer also weiterhin „Pack die Badehose ein“ als Sommerplätschern abtut, hat den Kern verpasst: Hinter dem Refrain steht eine Frau, die im entscheidenden Moment nicht ins Wasser sprang, sondern am Ufer blieb, weil dort jemand stand, der sie brauchte. Das ist nicht weniger glamourös – es ist mehr. Es ist die Sorte Ruhm, die nicht blendet, sondern trägt. Und genau deshalb ist Cornelia Froboess, bei allem Glitzer von gestern, eine Zumutung für heute: Sie zwingt uns, Erfolg neu zu buchstabieren – mit Worten, die im Rampenlicht selten sind und im Leben unentbehrlich.