Oliver Pocher zwischen Mut, Eitelkeit und Wahnsinn: Warum er wirklich nach Gaza reist

Er will sich „selbst ein Bild machen“ – ein Satz, der harmlos klingt und doch eine Lawine lostritt. Oliver Pocher, der Mann, der sich sonst mit Podcasts und spitzen Bemerkungen über Promis in die Schlagzeilen bringt, sitzt plötzlich im Flugzeug nach Tel Aviv. Von dort will er weiter an die Grenze des Gazastreifens. Kein Scherz, kein Sketch, keine ironische Pointe. Ein Entertainer, der jahrelang vor allem davon lebte, andere vorzuführen, reist nun selbst in ein Krisengebiet, in dem seit Monaten Bomben fallen und Menschen sterben. Ist das Mut? Ist es Selbstinszenierung? Oder schlicht Wahnsinn?

Man könnte meinen, die Entscheidung sei ein PR-Gag, wie man ihn von Pocher kennt. Doch er sagt in seiner Instagram-Story: „Ich gucke mir das jetzt mal persönlich an.“ Persönlich – ein Wort, das gleichzeitig nach Authentizität und nach Hybris klingt. Persönlich, als wäre er derjenige, der die Wahrheit herausfinden wird, wo Politiker, Diplomaten und Journalisten seit Jahrzehnten scheitern. Wer Pocher kennt, weiß: Er liebt es, dort zu sein, wo es knallt – aber diesmal knallt es nicht metaphorisch, sondern ganz real.

Für seine Fans ist das ein Schock. Pocher, 47 Jahre alt, hat sich nie ernsthaft als politischer Kommentator verstanden. Er war der Clown, der auf Instagram alles und jeden persiflierte, der bissige Beobachter, der den Boulevard spiegelte, ohne ihn jemals zu sprengen. Politik war höchstens ein Nebenschauplatz für flüchtige Spitzen. Umso größer die Überraschung, dass er nun dorthin reist, wo Politik zur nackten Existenzfrage wird.

Und doch bleibt die Frage: Warum?

War es der Neid? Noch vor wenigen Wochen hatte Pocher die Gaza-Reise von Enissa Amani spöttisch kommentiert, ihr sarkastisch eine „gute Reise, gerne auch One Way“ gewünscht. Damals klang er wie der Mann, der andere lächerlich macht, weil sie sich zu wichtig nehmen. Jetzt folgt er ihr – nur mit dem Unterschied, dass er sich selbst wichtiger nimmt. Er will nicht bloß hin, er will filmen, dokumentieren, produzieren. Die Ergebnisse kündigt er bereits für die kommende Woche an. Was als Reise in eine umkämpfte Zone beginnt, endet als Content.

Ist das zynisch? Oder ist es die einzige Möglichkeit, in einer Welt des digitalen Spektakels überhaupt noch gehört zu werden? Pocher weiß, dass Empörung Reichweite bringt. Und was empört mehr: ein Witz über Promis oder ein Entertainer, der plötzlich zwischen Israelis und Palästinensern vermittelt?

Vielleicht ist es genau dieser Bruch, der fasziniert. Pocher, der sonst alles aus der Distanz kommentiert, setzt sich selbst in die Schusslinie. Er betont zwar: „Wir sind natürlich vorsichtig.“ Doch wie vorsichtig kann man sein, wenn man in ein Gebiet fährt, das täglich in den Nachrichten mit Explosionen auftaucht? Vorsicht klingt da eher wie ein Placebo – gut gemeint, aber kaum wirksam.

Natürlich kann man ihm vorwerfen, dass es nur um Klicks geht. Dass er sich auf dem Leid anderer inszeniert. Dass er seine Kritiker widerlegen will, indem er zeigt: Seht her, ich kann mehr als nur lästern. Aber wer ihn deswegen sofort verurteilt, macht es sich vielleicht zu einfach. Denn die Wahrheit ist: Es braucht auch jene, die nicht ins klassische Schema passen. Manchmal sind es die Clowns, die den Spiegel am klarsten vorhalten.

Doch was, wenn die Reise nicht die gewünschten Bilder liefert? Was, wenn Pocher merkt, dass es keine Pointe gibt, nur Verzweiflung? Dass es keine einfache Moral gibt, sondern nur eine Spirale aus Gewalt, Schuld und Gegenschuld? Wird er dann schweigen – oder wird er die Tragödie wieder zur Satire machen?

Hier liegt das eigentliche Risiko. Nicht das Risiko für sein Leben, so real es ist. Sondern das Risiko, dass er den Schmerz anderer zum Rohstoff für Unterhaltung macht. Dass er die Grenze zwischen journalistischer Neugier und Selbstvermarktung nicht zieht, sondern verwischt.

Und dennoch: Diese Reise ist ein Schlag ins Gesicht für all jene, die ihn unterschätzt haben. Für die, die glaubten, Pocher sei ein Gefangener seiner eigenen Rolle. Er beweist, dass er bereit ist, Grenzen zu überschreiten – nicht nur geografische, sondern auch inhaltliche. Er zwingt sein Publikum, ihn neu einzuordnen. Nicht jeder wird das wollen. Viele werden ihn dafür hassen. Aber gerade darin liegt die Kraft.

Vielleicht ist es diese Mischung aus Mut und Narzissmus, die die Gesellschaft spiegelt. Wir wollen Helden, aber wir verachten sie, sobald sie sich selbst inszenieren. Wir verlangen Authentizität, aber sobald jemand sie zeigt, zweifeln wir an seinen Motiven. Pocher liefert uns genau das: ein Rätsel, ein Widerspruch, eine Provokation.

Und genau deshalb werden wir hinschauen. Ob wir ihn nun feiern oder verurteilen – wir werden ihm Aufmerksamkeit schenken. Die Reise nach Gaza ist mehr als ein privater Trip. Sie ist ein Test. Ein Test für Pocher selbst, aber auch für uns, die Zuschauer. Wie reagieren wir, wenn der Hofnarr plötzlich ernst wird? Wenn der Mann, der uns sonst zum Lachen brachte, uns mit einer Realität konfrontiert, die alles andere als lustig ist?

Vielleicht ist es Wahnsinn. Vielleicht ist es der größte Fehler seiner Karriere. Aber vielleicht, nur vielleicht, ist es der Moment, in dem Oliver Pocher beweist, dass er mehr ist als der ewige Spötter. Dass er, mit all seiner Eitelkeit, bereit ist, dorthin zu gehen, wo andere schweigen.

Und genau deshalb sollten wir ihn nicht vorschnell verurteilen. Denn manchmal kommt die Wahrheit aus den unerwartetsten Mündern. Und manchmal muss man in die Hölle gehen, um zu zeigen, wie heiß das Feuer wirklich ist.